Welche Angst?

Welche Angst?

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Verlustangst ist eine Urangst. Die Angst davor, seine Heimat zu verlieren. Es gibt ein Foto, das diese Urangst instrumentalisiert, Angst produziert. Angst, die zu Mitleid werden könnte, wird anhand des Bildes zu Angst, die in Abwehr umschlägt: Viele Menschen in einem orangefarbenen Schlauchboot auf dem Meer. Von oben, aus der Draufsicht, das Wetter ist schön, kein Seegang, pittoreske Schaumkrönchen.
Wenn es um Flucht geht, produziert mein Inneres Sehen dieses Ärgernis von Bild. Im Grunde genommen hat die kadrierte Situation die Qualität zu einem lyrischen Bild, wenn es denn Fischer wären. Google wirft das Bild auf der ersten Seite aus, wenn ich als Suche Flüchtlinge eingebe. Aufgrund der hohen Suchanfragen bietet mir Google zusätzlich zu dem Begriff Flüchtlinge Mittelmeer.
Ein grellbuntes Schlauchboot auf blauem Meer, die Sonne scheint. Mittelmeer, Sonnenschein, sich leicht kräuselnde Wellen. Das Boot fährt vom linken zum rechten Bildrand. Dicht gedrängt sitzen Menschen beieinander, die Perspektive eine Draufsicht. Das Bild und seine Botschaft sind perfide: Viele machen sich auf, zu uns hin, die Verlaufsform erweckt den Eindruck der Bewegung zum Betrachter hin. Die Menschen sind nicht als Individuum kenntlich, sie verschmelzen zu einer Masse überwiegend dunkelhäutiger Menschen auf ihrem Weg nach Europa. Die Sonne und das ruhig daliegende Meer, kleine Schaumkronen hier und da, suggerieren eine Erholungsreise, eingestiegen und schwupps, bist du auf Lampedusa.
Es geht bei der Wahrnehmung des Bildes nicht um Menschen auf der Flucht, bei diesem Bild soll die Einfühlung in die prekäre, verzweifelte und todesnahe Situation von Flüchtenden vermieden werden. Das Bild besitzt den Willen, die Angst des Betrachters zu entfachen.
Leid ist eine Erfahrung. Angst eine Erwartenshaltung, eine Befürchtung für die Zukunft. Das Bild des Bootes befeuert Angst von Menschen, die auf das Gefühl der absoluten Unsicherheit ansprechen. Unsicherheit ist der Status von Flüchtigen. Aber anstatt ein Mitfühlen, ein Mitleiden zu beabsichtigen, schürt das Bild durch die Perspektive und die Art der Darstellung die Angst des Betrachtenden. Angst wird Abwehr. Denn magisches Denken und archaisches Sein wird beherrscht von dem Gefühl des Unheils, das einen Flüchtling umgibt. Und die gilt es abzuwehren. Archaisches Sein denkt: Wenn viele von denen kommen, dann bin ich bald Flüchtling.

Außen vor bleibt die Tatsache, dass das Bild eine Idylle vorspiegelt, die das Gegenteil, nämlich die Hölle ist. Ich hasse dieses Bild, weil es durch die Draufsicht Menschen ihre Individualität abspricht, und weil das Bild die Gefahr der Flucht und die Gründe von Flucht verharmlost. Nein. Negiert.

Tania Folaji, Auorin von Theaterstücken, Filmen, Prosa und Essays, nigerianisch/deutsche Herkunft