Wir fahren in das Grenzgebiet ein, zwei militärisch aufgerüstete Grenzstationen liegen vor uns, die wir zu passieren haben. Die Zeit, die wir dafür haben, ist knapp. Nach Einbruch der Dunkelheit, die um 7 pm schlagartig einsetzt, ist es unbedingt zu vermeiden weiterzufahren. Nur: Hier zu bleiben, ist nicht weniger gefährlich. Der Schweiß läuft mir über Stirn und Wangen. Die Gesichtsfarbe meiner Reisegefährtin ist von blass auf blass lila gewechselt. Wir haben aufgehört zu sprechen. Starren auf die Grenzstationen, denen wir uns langsam nähern. Das Radio haben wir ausgestellt. Dort wurde non stop über die Gewaltausbrüche berichtet, die sich Tage zuvor hier und an anderen Grenzübertritten abgespielt hatten. Die Leute waren aus ihren Wagen gezerrt und verprügelt worden. Weit erschreckender aber waren die Gewaltausbrüche, die diesen hier vorausgingen: In der südafrikanischen Hafenstadt Durban hatten bewaffnete Männerbanden die Läden von Migranten gestürmt und angezündet: Die Fliehenden verfolgten sie, erschlugen sie oder trennten ihnen mit ihren Macheten Nase, Ohren und Genitalien ab. Nach den Mordanschlägen bedauerte der Gouverneur das Ganze und bat um Verständnis für die Männer und die Ängste, die sie zu dieser Gewalt verleitet hatten. Der Gewalt gegen die Migranten in Südafrika, die aus den afrikanischen Nachbarstaaten kamen, folgten dann die Übergriffe auf Südafrikaner, die, so wie wir, in eines der Nachbarländer einreisen wollten.
In den europäischen Medien war davon kaum etwas zu lesen. Denn die Online-Presse überschlug sich gerade mit Berichten über Anschläge auf Asylbewerberheime in Deutschland. Die Süddeutsche zeichnete ein Bild mit roten Fähnchen von Orten, in denen es zu solchen Angriffen gekommen war. Eine Frau mit zwei Kindern war nur knapp einer Rauchvergiftung entgangen, als ein Molotowcoctail in ihr Zimmer flog. Auch in den deutschen Medien wurde die Angst ins Spiel gebracht. Bis zur mosambikanischen Hauptstadt Maputo sind es noch ein paar Stunden. Unser Flug ist am nächsten Tag. Ein Soldat winkt uns an den rechten Straßenrand. Wir öffnen das Fenster. Er deutet auf das südafrikanische Nummernschild und verlangt nach dem Aufkleber für Mosambik. Ich steige aus dem Wagen, die Beine sind nass und steif geworden von der Angst, die mich gefangen hält. Ich bringe den Aufkleber an. Steige wieder ein. Er nickt uns zu. Die Sonne knallt auf den Wagen. An den Rändern des Grenzareals stehen die Kadaver von Autos, zerlegt und ausgenommen.
Ich stelle mir vor, wie uns ein aufgebrachter Mob aus dem Wagen zerrt. Wie Hände und Fäuste nach uns greifen, auf uns einschlagen, wie wir auf dem staubigen Boden liegen und die Knüppel auf uns niedergehen, wie wir uns zusammenkrümmen, wie wir daliegen, wie wir, wenn wir es wagen, den Blick zu heben, Gesichter sehen, die auf uns nieder schauen und dabei grinsen.
Ich bemerke, wie die Angst größer und unheimlicher wird durch die Tatsache, dass mir das Land unbekannt ist, dass mir die Gegend vollkommen fremd ist, dass es fremde Menschen sind und dass es schwarze Männer sind, die auf uns zwei weiße Frauen einhauen. Das Maß des Unbekannten macht die Angst maßlos und unbekannt.
Die Militärs schauen grimmig und gelangweilt. Sie winken uns weiter. Bis zu einem Platz, an dem wir aussteigen und die Dokumente vorzeigen sollen. Den Parcours von Schalter zu Schalter durchlaufen wir unter einer langgestreckten Baracke mit Vordach; unsere Dokumente reichen wir den Beamten durch Gitterstäbe und nehmen sie gestempelt wieder in Empfang. Es ist ein träger heißer Sonntagnachmittag; wir sind in keiner Schlange, wir bekommen die Dokumente, steigen in den Wagen, fahren zur nächsten Grenzstation weiter, überreichen dort die Papiere den Militärs. Noch sind wir uns sicher, dass uns etwas aufhalten wird. Wir erwarten den Zwischenfall, so sehr fürchten wir ihn. Doch alles geht ungehindert seinen Weg. Während wir in Schrittgeschwindigkeit über das Areal ruckeln, entfernt sich nach und nach die Grenze im Rückspiegel, bis sie wie ein Spuk verschwunden ist. Die Angst lässt von uns ab. Wir werden wieder zu normalen Menschen, die sich neugierig umblicken in dem neuen Land, in das wir gerade einreisen.
Wieder muss ich daran denken, welchen Unterschied es macht für die Angst, sich in einem unbekannten Land bedroht zu fühlen, in einer vollkommen fremden Gegend, von Menschen, die einem fremd sind, und wo es nicht einen einzigen gibt, der einem bekannt ist.
Dabei stelle ich mir die Menschen vor, die in den Asylheimen von einem deutschen Mob bedroht und angegriffen werden, von weißen bulligen Männern.
Immer wird über die Angst gesprochen, aber nicht über die Angst bei denen, die bedroht werden und die um ihr Leben fürchten müssen. Gesprochen wird über die Angst derer, die angreifen. Die ihre Behausungen zerstören, die auf sie losgehen, die am Straßenrand stehen und die Busse attackieren. Die sie beim Aussteigen nieder skandieren. Die sie hassen.
Immer wird Angst als ihr Motiv genannt und nicht einfach nur der Hass.
Warum suchen wir die Angst bei denen, die Angst verursachen?
Die immerhin mächtig genug sind, um ihren Platz lautstark zu behaupten? Vor denen, die auf der schwächeren Seite stehen. Die fremd sind, die in ein fremdes Land kommen und keine Menschenseele kennen? Von welcher Angst sprechen wir? Warum brauchen wir die Angst, um den Hass zu erklären?
Maxi Obexer